Veden kommt von „veda“ (Wissen) und als Veden bezeichnet man die von den vedischen Sehern und Lehrern niedergeschriebenen Schriften des Wissens, zu denen die ältesten literarischen Werke der Welt gehören. Als Veden werden im engen Sinn die sogenannten ursprünglichen vier Veden verstanden (Rig, Yajur, Sama und Atharva), im weiteren Sinn auch alle Nachfolgeschriften und Kommentare (Upanishaden, Puranas, Mahabharata, Ramayana usw.) In diesem Sinn gehören z.B. auch die Schriften der Gaudiya Vaishnavas und die Bücher von Srila Prabhupada zu den Veden. Die Bhagavad-Gita zählt zum 5. Veda.
Der eine Veda – die Wissenschaft der Klangschwingung
Sprechen wir von den Veden, so beziehen wir uns vor allem auf die schriftliche Form der Veden, die uns heute in Form von Büchern zugänglich ist. Diese Form existiert jedoch erst seit ca. 5 000 Jahren, als Srila Vyasadeva den ursprünglichen Veda in vier Teile aufteilte und niederschreiben ließ.
Der Veda ist ursprünglich spirituelle Klangschwingung und existiert als solcher in vier Phasen, welche sehr schwer wahrzunehmen sind. Drei von diesen Phasen befinden sich innerhalb des Lebewesens, und nur die vierte Phase ist außerhalb des Lebewesens als Sprache oder hörbare Klangschwingung manifestiert. Die vier Phasen des vedischen Klangs sind:
(i) para: Der vedische Klang, der sich auf der feinstofflichsten Ebene der Lebenskraft oder des prana im adhara-cakra manifestiert, wird als para bezeichnet. Das adhara-cakra versorgt den gesamten Körper mit prana, und der auf dieser Ebene manifestierte vedische Klang moduliert die Schwingungen der Lebenskraft, die die Aktivitäten des Bewußtseins ausführt und die Sinne belebt.
(ii) pasayanti: Der vedische Klang, der sich auf der feinstofflichen Ebene des Geistes im manipura- oder Nabel-cakra manifestiert, wird als pasyanti oder die mentale Phase des vedischen Klangs bezeichnet.
(iii) madhyama: Die intellektuelle Phase des vedischen Klangs wird als madhyama bezeichnet und manifestiert sich auf der Ebene der Intelligenz im anahata- oder Herz-cakra, wo auch die spirituelle Seele und die Überseele transzendental situiert sind.
(iv) vaikhari: Die für die Sinne manifestierte hörbare Phase oder sinnliche Phase des vedischen Klangs wird als vaikhari bezeichnet und ist in der grobstofflichen Materie als Klang manifestiert. Zum exakten Verständnis dieses manifestierten vedischen Klangs bedarf es jedoch einer großen Zahl von Hilfsmitteln, die in den als Vedangas bekannten Ergänzungen der vedischen Schriften als eine eigenständige Wissenschaft dargelegt werden.
Der vedische Klang wird als ananta-para bezeichnet, weil er jenseits von Raum und Zeit existiert und alle schöpferischen Kräfte des Universums und darüber hinaus umfaßt. Er ist nicht materiell und wird niemals von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur beeinflußt.
In seinen verschiedenen Phasen kann er nur von selbstverwirklichten Seelen wie Narada und Vyasadeva verstanden werden, die ihr eigenes Dasein von allen materiellen Einflüssen geläutert haben und somit den vedischen Klang in seiner ursprünglichen Form direkt wahrnehmen können. Diese selbstverwirklichten Seelen machen den vedischen Klang denen zugänglich, die ihn nicht in seinen verschiedenen Phasen wahrnehmen können, weil ihr Bewußtsein materiellen Einflüssen unterliegt.
Ihr Ziel ist es, durch ihre Unterweisungen die materiell bedingten Lebewesen zu läutern und es ihnen damit ebenfalls zu ermöglichen, den vedischen Klang direkt wahrzunehmen. Zu diesem Zweck geben sie den bedingten Seelen durch den Vorgang der Einweihung sogenannte mantras, vedische Klangfolgen, die die Kraft haben, den Geist der Person von materiellen Einflüssen zu befreien. Wird ein solcher mantra von einem echten spirituellen Meister weitergegeben und vom Schüler im Einklang mit den begleitenden Unterweisungen des Meisters ausgesprochen, hat der dadurch erzeugte vedische Klang außer der hörbaren Phase auch die drei inneren Phasen, wodurch sowohl die grobe als auch die feinstoffliche Ebene mit spirituellem Klang erfüllt und geläutert werden.
Die vaikhari-Phase des vedischen Klangs entspricht der modernen eingeschränkten Auffassung des Klangbegriffs als rein physikalisches Phänomen. Die drei feinstofflichen Phasen weisen eine zusätzliche semantische Qualität auf, die dem modernen physikalischen Verständnis nicht zugänglich ist. Weil in den feinstofflichen Phasen des Klangs der feinstoffliche Körper und damit auch das citta-Element mitschwingt, ist auf diesen Ebenen zu einem unterschiedlichen Grad die Bedeutung des Klangs als dessen feinstoffliche Form im Klang mitenthalten und nicht vom Klang selbst verschieden.
Auf der Ebene des para-Klangs ist die Trennung zwischen Symbol und Bedeutung vollkommen aufgehoben, während diese Trennung sich auf der pasyanti-Ebene bereits manifestiert und erst auf der madhyama-Ebene ganz vollzogen ist. Der Klang auf der madhyama-Ebene hat also zwei Komponenten, von denen die eine die physikalische Klangschwingung und die andere deren Bedeutung ist. Diese Unterscheidungen spielen vor allem in den Sprachwissenschaften eine große Rolle, wirken sich aber auch auf das Verständnis der physikalischen Welt aus.
Der vedische Klang ist rein spirituell, weil sein Ursprung die Höchste Persönlichkeit Gottes ist, die durch ihn in der materiellen Welt repräsentiert wird und der materiellen Energie Form und Struktur gibt. Die der materiellen Welt zugrundeliegende Information und Intelligenz wirkt also durch den vedischen Klang auf die Materie.
Die Silbe Om, der vedische omkara, enthält alle vedischen Klangschwingungen und ist somit ebenfalls eine vollständige Repräsentation Gottes. Dieser omkara ist in jedem Lebewesen in seinen feinstofflichen Phasen manifestiert und kann durch Meditation wahrgenommen werden.
In der Bhagavad-gita, einem der bedeutendsten vedischen Texte, erklärt Shri Krsna: Wenn man in diesem yoga-Vorgang gefestigt ist und die heilige Silbe Om, die höchste Buchstabenkombination, chantet und wenn man dann beim Verlassen des Körpers an die Höchste Persönlichkeit Gottes denkt, wird man mit Sicherheit die spirituellen Planeten erreichen.
Als Klangrepräsentation des Absoluten existiert auch das omkara in drei Phasen, d.h. daß es nicht nur die spirituelle Einheit repräsentiert, sondern sich über den lokalisierten Aspekt Gottes hinaus auch auf die transzendentale Form der Höchsten Persönlichkeit Gottes bezieht und damit ebenfalls eine transzendentale persönliche Form besitzt. Es heißt in den Veden, daß in bezug auf den persönlichen Aspekt Gottes das omkara mit dem Maha-Mantra identisch ist, der als der große mantra bekannt ist:
Hare Krishna Hare Krishna
Krishna Krishna Hare Hare
Hare Rama Hare Rama
Rama Rama Hare Hare
Vor allem Shri Chaitanya Mahaprabhu, der vor ca. 500 Jahren in West-Bengalen lebte und der bedeutendste Lehrer der Gaudiya-Vaisnava-Sampradaya ist, hat das Chanten dieses Mantras als den machtvollsten Weg zur Verwirklichung des vedischen Wissens empfohlen, weil es das Bewußtsein des Menschen, der diesen Mantra chantet, sehr schnell von allen materiellen Einflüssen befreit und das ursprüngliche reine Bewußtsein des Lebewesens wiedererweckt. In diesem erleuchteten Zustand, so lehrte er, empfindet der erfolgreiche Transzendentalist reine Liebe zu Gott und bringt Ihm mit transzendentaler Freude hingebungsvollen Dienst dar.
Schlussbetrachtung
Dieser Text versuchte deutlich zu machen, daß die vedische Kultur tatsächlich den Rahmen für eine spirituelle Wissenschaft bilden kann, der weit genug ist, alle Arten von Wissen zu fördern, die der Menschheit helfen, sowohl in materieller als auch in spiritueller Hinsicht voranzukommen.
Hierbei wurde vor allem die spirituelle Entwicklung betrachtet, die als wichtiger angesehen wird als der zeitweilige materielle Fortschritt.
Das vedische Wissen hat für viele Jahrtausende Menschen geholfen, den Weg zur spirituellen Erkenntnis zu gehen und kann gerade in der heutigen Zeit dazu beitragen, mehr und mehr Menschen den spirituellen Weg zu eröffnen, indem es die Grundlage einer spirituellen Wissenschaft bildet, die die Grenzen von Nationalität, Religion und Weltanschauung überschreitet.